Mein Lebenslauf - ein kleiner Abriss



Sicherlich hätte ich auch etwas Vernünftiges lernen können. Doch das Schicksal sandte mich in einen Künstlerhaushalt. Dort sah und hörte ich nichts anderes als Kunst, künstlerischen Diskurs und Disputieren über dies und jenes, was gerade so die Welt bewegte und in Atem hielt. Die Mutter* als nimmermüde Schriftstellerin, der Vater**als besessener Bildhauer schufen mir geradezu die Illusion, ohne Kunst sei das Leben ohne Sinn und attestierten mir, für nichts anderes begabt zu sein.

So besuchte ich in den 60er Jahren die Münchener Akademie der Bildenden Künste. Es waren die Jahre der Proklamationen, Demos und Happenings. Mit der Mao Bibel in der Hand diskutierten wir über die Entrümpelung des Geistes und philosophierten über allerlei Neuartiges und Experimentelles, das zur der Zeit die Münchener Kunst-Avantgarde bewegte.

Etwas Geld verdiente ich mir als Probandin am Max-Planck- Institut. Lukrativ waren dabei die LSD Experimente. Beliebt in Künstlerkreisen, allerdings nur mit mäßigem Erfolg, denn auch LSD vermochte aus mittelmäßigen Künstlern keine Genies hervorzaubern.

Nach zehn Semestern unbeschwerter Selbstfindung und geistigen Umbaus und ohne überhaupt ansatzweise etwas praktisch Anwendbares gelernt zu haben war ich nun in meinen Augen eine vielversprechende - aber rückblickend auch eine leidlich unbedarfte - akademische Künstlerin.

Spannend, anregend und turbulent verlief die siebenjährige Ehe mit einem musizierenden Mathematikus, aus der Sohn und Tochter entsprangen. Die galt es nun zu versorgen und so hielt ich nach einem Unterhalt Ausschau. Da ich aber nicht mehr als die Rhetorik der Avantgarde gelernt hatte, beschloss ich ein künstlerisches Handwerk dazuzulernen.

Mit etwas Glück erhielt ich eine Praktikantenstelle als Behelfs-Ersatzbühnenbildnerin beim Bayerischen Fernsehen. Entscheidend für den Zuschlag war, dass ich bereits vorher großformatige Dekorationen für die ausschweifenden Faschingsfeste im Haus der Kunst entworfen und ausgeführt hatte. Auch die exzessiven und inzwischen legendären Künstlerfeste im Hotel Regina wurden von mir dekoriert. Beim Bayerischen Fernsehen begann meine straffe, autodidaktisch geprägte Ausbildung der handwerklichen Fähigkeiten, und zum ersten Mal fühlte ich mich nun gut genug gerüstet für das Haifischbecken des freien Kunstmarkts.

Endlich ausgestattet mit dem wichtigsten Handwerkszeug, gewann ich anfangs bedeutungslose und später öffentlichkeitswirksame und spektakuläre Ausschreibungen. So hinterließ ich auf Wunsch des Finanz- und Universitätsbauamts, des Landbauamts und U-Bahnreferats, in der Öffentlichkeit meine Spuren. Ob Kirchendecken mit Heiligen und Heroen, Fassadenillusionen an Brandwänden und Schwimmbädern, Tierwelten im U-Bahnuntergrund oder Flora und Fauna im Landeskriminalamt; ich hatte meine Bühne gefunden. Ich freskierte und bemalte, bespannte, beklebte, emaillierte und bekachelte den öffentlichen Raum, als ob es nichts anderes mehr für mich geben würde. In den 80 er Jahren erhielt ich dafür den Münchner Seerosenpreis.

Der öffentliche Raum wurde mein Forum und ist es heute noch.


Ricarda Dietz (geb.1939)

gulbrandsson



* Schriftstellerin
G.Fussenegger,
** Bildhauer E.Dietz



Zeichung:
Mutter Gertrud mit Säugling Ricarda
von Olaf Gulbransson